(Dieser Beitrag enthält emotional aufwühlende Inhalte)
Ich habe Marie im Oktober '22 in der Klinik kennengelernt. Sie war eine zurückhaltende, warmherzige Frau, die nach einem ersten Suizidversuch zunächst in der geschlossenen, später in der teiloffenen psychiatrischen Abteilung stabilisiert wurde. Wir haben immer wieder Gespräche geführt, über unsere Gefühle gesprochen, unsere Wünsche und Vorstellungen ausgetauscht oder "nur" Zeit miteinander verbracht, in dem Wissen um das Mitfühlen des anderen.
Menschen mit Depressionen erleben nicht nur großes Leid, sondern haben auch oft durch die Erkrankung jegliche Hoffnung verloren. Sie glauben nicht daran, dass ihnen geholfen werden kann und sich ihr Zustand je wieder verbessert. Statistiken zeigen, dass mehr Frauen als Männer von dieser psychischen Erkrankung betroffen sind. Zudem hat sich die Betroffenheit in der Gruppe von 18-34-jährigen Frauen seit Beginn des 21. Jahrhunderts fast verdoppelt. In Deutschland versterben jährlich mehr Menschen durch Suizid als im Verkehr, durch Drogen oder an Aids. Die Zahl der Suizidversuche ist schätzungsweise 15-20 mal so hoch. Bei den Suizidversuchen sind besonders junge Frauen gefährdet.
Marie gehörte zu den Frauen, die eher Zugang zu den "weichen" Gefühlen hatte: Mitgefühl, Zuneigung, Freude, Angst oder Trauer zu zeigen und zu spüren war ihr näher als Ärger, Zorn, Trotz oder Stolz auszuagieren. Neben individuell, familiär bedingten Ursachen war sie mit der Schnelllebigkeit und der Konkurrenz im Arbeitsleben immer mehr überfordert. Ihr So-sein, die Kreativität, die sich im geschützten Raum der Klinik vor Weihnachten wieder vorsichtig entfaltete, hielt der konkreten Begegnung mit der Außenwelt und den Anforderungen nicht stand. Ein zweiter Suizidversuch Anfang Januar war die Folge.
Was ich mir für sie gewünscht hätte, wäre mehr Zutrauen in sich selbst gewesen. Mehr Bewusstsein und Wertschätzung für ihre Einzigartigkeit und mehr Kraft und Durchhaltevermögen, ihren Blick immer wieder auf das zu richten, was sie schon geschafft hatte und welches Potenzial in ihr lag.
In einem letzten Treffen Mitte Februar dieses Jahres erzählte sie mir, dass sie auf die Zusage verschiedener psychosomatischer Kliniken wartete, für eine längere stationäre Therapie. Doch die Kliniken sind voll, übervoll und nach einem Suizidversuch müssen drei Monate vergehen, bevor eine Aufnahme möglich ist. Ende März starb sie, der dritte Versuch war endgültig. Sie wurde 31.
Marie hat es nicht geschafft und das macht mich immer noch unendlich traurig. Aber ich höre nicht auf, daran zu glauben:
Wenn es dir gelingt, dich für dich selbst einzusetzen, keine "härtere" Version deiner selbst zu kreieren, sondern zu dir und deinen weichen Anteilen zu stehen, kannst du einen Platz finden, der für dich stimmt und an dem du das Leben führen kannst, das dir entspricht. Das weiß ich!
Brauchst du Hilfe? Kreisen deine Gedanken um Suizid? Sprich mit jemand darüber: Die Telefonseelsorge bietet eine anonyme Beratung, telefonisch, online oder persönlich.
www.telefonseelsorge.de , Tel: 0800/1110111 und 0800/1110222
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